Warum gestehen Menschen Verbrechen, die sie nicht begangen haben? Über das psychologische Phänomen „False Confessions“
Der Dokumentarfilm von Dylan Howitt beschreibt einen Fall aus den 70er Jahren in Island, bei dem sechs Jugendliche trotz ihrer Unschuld zwei Morde gestanden.
Damals verschwanden in Reikjavik in relativ kurzen Abständen die zwei Männer Gudmundur und Geirfinnur. Ihre Leichen wurden niemals gefunden, es gab keine Zeugen oder und auch keinerlei forensische Beweise. Dennoch wurden sechs Jugendliche für die Morde verurteilt. Und das ausschließlich aufgrund von Geständnissen, die sie nach intensiven und langen Verhören abgaben, obwohl sie keine klaren Erinnerungen an die Geschehnisse hatten und sich ihre Angaben zu den vermeintlichen Tathergängen ständig veränderten und nicht zusammen passten.
Die sechs Verdächtigen Sævar Ciesielski, Kristjan Vídar Vídarsson, Tryggvi Rúnar Leifsson, Albert Klahn Skaftason, Guðjón Skarphéðinsson and Erla Bolladóttir wurden in Isolationshaft festgehalten, langwierig und unter großem Polizeidruck und unter wenig Kontakt zu ihren Anwälten verhört. Man verabreichte ihnen Drogen und unterzog sie Schlafentzug durch 24-Stunden-Beleuchtung und Lärm sowie Wasser-Folter. Die Verdächtigen beteuerten beim Prozess z.T. wieder ihre Unschuld und gaben an, dass sie die Gestänsnisse nur unterschrieben hätten um ihre Isolationshaft zu beenden, oder dass sich ihre Erinnerungen durch die Umstände verfälscht hatten. Erla Bolladóttir wurde beispielsweise 242 in Isolationshaft gehalten, Tryggvi Rúnar Leifsson für 655 tage – die längste Isolationshaft ausserhalb von Guantanamo. Alle sechs saßen ihre Haftstrafen ab.
Im Mai 2014 wurde der Fall über ein BBC Radio Programm wieder in die Öffentlichkeit gebracht und ging der Frage der „Implantierung von Erinnerungen“ nach. Daraufhin untersuchte Professor Gísli Gudjónsson, ehemaliger isländischer Kriminalkommissar und international renommierter Experte für Suggestibilität und falsche Geständnisse und kam zu dem Ergebnis, dass er niemals zuvor in seiner Laufbahn einen Fall mit einem solchen Ausmaß an intensiven Verhören und so langer Isolationshaft gesehen und gab an absolut schockiert gewesen zu sein. Die BBC bezeichnete den Fall als „…einen der schockierendsten Justizvergehen die Europa je gesehen hat.“
Das Problem falscher Geständnisse hat international viel Aufmerksamkeit bekommen, da viele Einzelfälle bekannt wurden, in denen Personen aufgrund falscher Geständnisse verurteilt wurden. Dies ist besonders problematisch, da Studien darauf hinweisen, dass Geständnisse einen größeren Einfluss auf Gerichtsentscheidungen haben als beispielsweise Augenzeugenberichte.
Die Forschung beschäftigt sich inzwischen intensiv mit dem Phänomen falscher Geständnisse. Man unterscheidet zwischen freiwillig falschen Geständnissen (etwa um eine andere Person zu schützen), erzwungenen falschen Geständnissen (coerced-compliant, um etwa einer Situation zu entkommen oder die drohende Haftstrafe zu mindern) und internalisierten falschen Geständnissen (coerced internalized, hier bilden sich die Personen ein, tatsächlich Schuld zu haben, weil ihre Erinnerungen verfälscht wurden.). Risikofaktoren sind zermürbende oder suggestive Vernehmungstechniken, kognitive Beeinträchtigung aufgrund von Erschöpfung, Schlafdeprivation und Glucosemangel, junges Alter des*r Beschultigten oder intellektuelle Beeiträchtigungen. Polizist*innen sind Studien zufolge nur zu 50% in der Lage, falsche Geständnisse als solche zu erkennen.
In den letzten Jahren wurden in den Vereinigten Staaten 67 unschuldig verurteilte Personen nach einer entlastenden DNS-Analyse aus der Haft entlassen, bei denen falsche Geständnisse ursprünglich zu einer Verurteilung beigetragen hatten.
„Out of Thin Air“
Ein Dokumentarfilm von Dylan Howitt aus dem Jahr 2017
84 Minuten
zu sehen auf Netflix
Sehenswert!