Harvey Weinstein verhaftet und angeklagt: Welche Bedeutung hat das für die #MeToo – Bewegung?

Harvey Weinstein wurde am 25.05.2017 offiziell von der New Yorker Polizei Verhaftet. Am Tag darauf hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erhoben. Seit mehreren Monaten wird bereits gegen den Ex-Filmmogul wegen sexueller Gewalt ermittelt. Bis zum Prozess bleibt er unter strengen Auflagen auf freiem Fuß.

Harvey Weinstein stellte sich gestern am 25.05.2017 den Behörden und wurde von der Polizei formell festgenommen. Er erschien auf dem Polizeirevier Manhattan in Begleitung seiner Anwälte und unter Beobachtung zahlreicher Kamerateams, Fotografen und Schaulustigen. Schon lange laufen Ermittlungen gegen Weinstein nach Vorwürfen mehrerer Frauen wegen sexuellen Missbrauchs. Die Staatsanwaltschaft hat nun gegen den Ex-Filmproduzenten offiziell Anklage erhoben. Die Vorwürfe: eine „Vergewaltigung“ und ein „krimineller sexueller Akt“ in den Jahren 2004 und 2013.

Bis zum Prozess bleibt Weinstein allerdings unter Auflagen auf freiem Fuß. Er musste eine Kaution von 1 Million Dollar zahlen und muss eine Fußfessel tragen. Seine Reise- und Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt.

Weinstein selbst äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Seine Anwälte ließen allerdings verlautbaren, dass er auf „nicht schuldig“ plädieren werde und bestreitet nach wie vor bestreite, die sexuellen Kontakte seien nicht einvernehmlich gewesen. Ebenso berufen sich die Anwälte darauf, dass es keine „stichhaltigen Beweise“ gebe und dass keine Jury den Frauen, die anderes behaupten, glauben würde – vorausgesetzt man finde eine Jury, die nicht durch die Me-Too-Bewegung voreingenommen sei.

Die Auswahl der Geschworenen könnte tatsächlich zu einer Schlacht werden, denn dies geschieht vor Beginn des eigentlichen Prozesses und sowohl Ankläger wie Verteidiger können die Ablehnung jedes*jeder Geschworen fordern, bei dem*der der ein begründeter Verdacht auf mangelnde Neutralität in dem Fall besteht. Das Recht auf eine „unvoreingenommene“ Jury die anhand von beweisen Urteilt ist selbstverständlich ein hohen rechtsstaatliches Gut. Sollten die Verteidiger sich jedoch dieses Argument als ihre Hauptstrategie zu eigen machen, lässt dies vermuten, dass sie den tatsächlichen Vorwürfen wenig „stichhaltiges“ entgegenzusetzen haben.

Dennoch, in einem fairen Verfahren gilt die Unschuldsvermutung bis die Anklage eine Schuld nachweist. Und jeder weiß wie schwer es bei Fällen sexueller Gewalt ist, juristisch verwertbare Beweise vorzubringen. Dies liegt in der Natur dieser Verbrechen. Häufig steht Aussage gegen Aussage. Eine bewährte Strategie der Verteidiger ist es daher stets, die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen in Frage zu stellen. Und in US-Gerichten wird gerne und viel schmutzige Wäsche gewaschen. Die große Anzahl an Frauen jedoch, die Harvey Weinstein sexuelle Gewalt vorwerfen wird jedoch schwer wiegen, auch wenn zunächst nur zwei Einzelfälle zur Verhandlung kommen werden. Und im US-Justizsystem entscheidet nun mal eine Jury. Harvey Weinstein wird ein faires Verfahren bekommen. Indem er konsequent beteuert, alle seiner sexuellen Kontakte seien „einvernehmlich“ gewesen, behauptet er allerdings de facto, dass sich so viele Frauen, die sich nicht kennen, heimlich gegen ihn verschworen haben, um ihn mit Falschbeschuldigungen zu diffamieren. Das ist leider aber wirklich schwer vorstellbar.

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Wie das Urteil zu diesem Prozess am Ende ausgehen wird, bleibt abzuwarten. Allerdings hat die jüngste Verurteilung von Bill Cosby aber auch gezeigt, dass sich etwas verändert hat. Und zwar, dass sich Frauen, die jahrelang oder jahrzehntelang zu erlittenem sexuellen Missbrauch innerhalb einer Machthierarchie geschwiegen haben, sich nun trauen, ihr Schweigen zu brechen. Weil sie viele sind. Wer #MeToo eine kategorische Vorverurteilung aller Männer unterstellt, hat die Bewegung nicht verstanden. #MeToo bedeutet, ein Problem zu benennen. Denn erst wenn ein Problem benannt wurde, kann es zu einer öffentlichen Debatte führen. Und das ist die kardinale Grundvoraussetzung dafür, dass sich in einer Gesellschaft etwas ändern kann. Im Fall von #MeToo ist das Problem jenes, dass patriarchale Strukturen und ein hierarchisches Machtgefälle überhaupt erst die Grundlage für Machtmissbrauch in Form von sexueller Gewalt, in diesem Fall von Männern gegen Frauen, schafft. Wenn Opfer nicht mehr Schweigen, Komplizen nicht mehr vertuschen und Mitwisser nicht mehr wegsehen, wird sexueller Gewalt an dieser Stelle der Nährboden entzogen.

Für die vielen Frauen, die mutmaßlich Opfer von Harvey Weinstein geworden sind, wäre dessen Verurteilung wichtig, um nach Jahren oder Jahrzehnten ein Stückchen Gerechtigkeit zu erfahren. Mehrere Schauspielerinnen, die Weinstein in den vergangenen Monaten sexuelle Übergriffe vorgeworfen haben, kommentierten die Verhaftung mit Erleichterung und Freude. „Heute sind wir der Gerechtigkeit einen Schritt näher gekommen“, schrieb die Schauspielerin Rose McGowan auf Instagram. Sie und andere Weinstein-Opfer hätten schon daran gezweifelt, dass er vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werde.

Für die #MeToo Bewegung wäre eine Verurteilung von Harvey Weinstein ebenso ein wichtiges Symbol. Aber wesentlich ist sie nicht. Denn die Weinstein-Frauen haben längst etwas viel Größeres erreicht: sie haben auf der ganzen Welt Frauen dazu ermutigt, nicht mehr länger zu Schweigen. Und so ist es auch in Deutschland geschehen, im Fall Dieter Wedel und aktuell beim Westdeutschen Rundfunk. Bislang herrscht sowohl in den USA wie auch bei uns die Kultur, Frauen die Männer der sexuellen Gewalt beschuldigen für unglaubwürdig zu halten. In den meisten Fällen erfolgt sogar eine gesellschaftliche Täter-Opfer umkehr. Die systemimmanenten Probleme bei der Beweislast in der Justiz tun ihr übriges dazu. Der Rechtsstaat kann auf die Unschuldsvermutung nicht verzichten. Aber die Gesellschaft und die Politik kann damit anfangen, den Opfern zu glauben. Denn eines haben die Weinstein-Frauen geschafft: sie haben die Weltöffentlichkeit auf die verdeckte Omnipräsenz sexueller Gewalt innerhalb von Machtstrukturen aufmerksam gemacht und für das Thema sensibilisiert. Wenn die Wirtschaft und die Politik hat nun die Chance wahrnimmt, die Strukturen im Arbeitsumfeld dahingehend zu verändern, dass sie Machtmissbrauch durch sexuelle Gewalt nicht mehr begünstigen wird es weniger Opfer und mehr Gerechtigkeit geben. Und diese Gerechtigkeit brauchen wir. Das haben inzwischen auch sehr viele Männer begriffen vor allem junge Männer, die nicht wollen, dass ihre Frauen, Freundinnen Kolleginnen Bekannten und Töchter sexuelle Gewalt erfahren. Und die #MeToo-Frauen sind viele. Sehr viele.

 

Bild: By David Shankbone [CC BY 3.0], from Wikimedia Commons

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