So funktioniert es in Bayern, wenn man ungewollt schwanger wird. Wobei – was heißt schon funktionieren?

Ich bin 42 Jahre alt und allein-erziehend mit drei Kindern. Vor einiger Zeit habe ich einen Mann kennengelernt, ebenfalls bereits Vater und ein ganzes Stück älter als ich. Ein wundervoller Mensch, der sich ganz hervorragend um seine Kinder kümmert. Von Anfang an war klar – wir möchten keine weiteren Kinder und haben auch entsprechend verhütet. Trotzdem bin ich schwanger geworden. Ein großer Schock! Trotzdem auch Freude, aber auch viel Angst. Für meinen Partner war ganz klar: Er möchte nicht noch einmal Vater werden. Für mich war es das nicht. Ich habe mich dann an eine gute Freundin gewandt, von der ich wusste, dass sie mich nicht verurteilen würde. Wir saßen viele Abende zusammen, ich habe viel geweint. Schwanger? In meinem Alter? Nach drei schon sehr schwierigen Schwangerschaften? Und dann vielleicht alleine mit Nummer vier?

„Schwanger? In meinem Alter? Nach drei schon sehr schwierigen Schwangerschaften? Und dann vielleicht alleine mit Nummer vier?“

Meine Freundin kannte aus einem anderen Zusammenhang Donum Vitae. Wir haben dann dort gemeinsam einen Termin für eine Schwangerschaftskonfliktberatung vereinbart, zu der sie mich auch begleitet hat. Die erste Überraschung war: Die Beratung erfolgte durch einen Mann. Damit hatte ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet. Aber: Mensch sollte ja auch die eigenen Geschlechterklischees überdenken! Die Beratung an sich war dann wirklich in Ordnung. Der Herr hat viel hinterfragt, aber ohne zu werten. Er hat viel Beistand angeboten. Es war eine echte, offene Beratung – und am Ende wurde mir natürlich der Schein ausgestellt. Was dann passiert ist, ist aber einfach unglaublich: Die Beratung durfte mir nicht die Adressliste mit den Ärzten aushändigen, die einen Abbruch gegebenenfalls vornehmen. Ich müsste erst zu meiner Frauenärztin gehen, die vielleicht eine Liste hätte, und nur wenn sie mir diese Liste nicht geben würde, könnte ich wiederkommen! Ich lebe auf dem Dorf. Ich kann unmöglich zu meiner normalen Frauenärztin gehen! Wenn irgendjemand hier wüsste, dass ich abgetrieben habe: Meine Kinder und ich wären sozial erledigt. Es reicht ja schon, dass ich mich habe scheiden lassen!

„Es ist einfach nur skandalös, dass ich als Frau in dieser Situation mich nicht einfach informieren kann, sondern dass meine Freundin auf übelsten Seiten nach Adressen suchen musste.“

Meine Freundin hatte dann die rettende Idee und hat sich auf den Seiten der Abtreibungsgegner umgesehen. Ich selber hätte das in dieser emotionalen Ausnahmesituation überhaupt nicht geschafft. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir schon ganz sicher, dass ich das Kind nicht behalten werden möchte. Ich hätte es einfach nicht bewältigen können. Es hätte unsere gesamte finanzielle Existenz aufs Spiel gestellt – und ich habe ja schon Verantwortung für drei Kinder, ganz alleine. Es ist einfach nur skandalös, dass ich als Frau in dieser Situation mich nicht einfach informieren kann, sondern dass meine Freundin auf übelsten Seiten nach Adressen suchen musste.

„Wichtig zu wissen ist: Frau darf nicht alleine zu dem ambulanten Eingriff kommen. Es muss eine Begleitperson dabei sein. Das ist auch aus medizinischer Sicht sehr sinnvoll. Aber vielleicht auch für Frauen, die niemanden haben sehr, sehr schwierig“

Wir haben dann sehr schnell einen Termin in einer Münchner Klinik in Freiham bekommen. Und hier kann ich nur sagen: Ich habe mich selten so verstanden gefühlt. Die Ärzt*Innen waren so zugewandt, verständnisvoll und wohlwollend. Vor der Klinik standen natürlich die Abtreibungsgegner*innen mit ihren Plakaten. Ich wurde zum Glück vorgewarnt, so dass wir direkt in der Tiefgarage verschwunden sind. Wenn aber eine Frau von der S-Bahn kommt, so muss sie unweigerlich an diesen Menschen vorbei – eine Zumutung in dieser Situation. Wichtig zu wissen ist: Frau darf nicht alleine zu dem ambulanten Eingriff kommen. Es muss eine Begleitperson dabei sein, die sowohl bringt als auch abholt, als auch danach die Betreuung der Person übernimmt, falls Komplikationen auftreten. Das ist auch aus medizinischer Sicht sehr sinnvoll. Aber vielleicht auch für Frauen, die niemanden haben sehr, sehr schwierig. Ich habe die ganze Zeit geweint. Ich war so traurig. Und trotzdem wusste ich, es ist der richtige Weg. Was ich sehr zu schätzen weiß: Die Narkoseärztin fragte mich mehrmals, ob ich das wirklich will, weil ich so fertig war. Sie wollte nicht, dass ich extern irgendwie unter Druck gesetzt werde. Aber ich wusste: Es ist das Richtige. Nach dem Eingriff war ich einfach nur erleichtert. Alles war gut, ich habe alles überstanden.

„Ermöglicht den Frauen, sich zu informieren – und zwar nicht über die Seiten von extremen Abtreibungsgegnern. Gebt Ihnen die Chance! Keine Frau wird Abreibung als Verhütungsmittel nutzen. Aber das Recht auf Information: Das darf man uns nicht verweigern.“

Bis heute bereue ich die Abtreibung nicht. Ich trage meinen Sohn in meinem Herzen – auch wenn er keinen Platz in meinem Leben hatte. Was ich mir wünsche: Hört auf, die Frauen, die hier vor einer so extremen Entscheidung stehen, zu stigmatisieren. Ich habe einige andere Frauen dort gesehen: Es war alles dabei, von ganz jungen Mädchen bis zu Frauen in meinem Alter. Jede hat ihre Geschichte. Jede hat Ihren Grund. Keine dort macht es sich leicht. Ermöglicht den Frauen, sich zu informieren – und zwar nicht über die Seiten von extremen Abtreibungsgegnern. Gebt Ihnen die Chance! Keine Frau wird Abreibung als Verhütungsmittel nutzen. Aber das Recht auf Information: Das darf man uns nicht verweigern. Ach, und der Vater: Er hat meine Entscheidung mitgetragen. Er war genauso überfordert wie ich. Ich wollte ihn beim Eingriff nicht dabei haben – er wäre mitgegangen. Wenn ich mich für das Kind entschieden hätte, hätte er es akzeptiert. Aber ich habe mich anders entschieden. Und genau so war es richtig.

Dies ist ein persönlicher Erfahrungsbericht einer Frau, die verständlicherweise anonym bleiben möchte. Der Bericht wurde zunächst auf der Facebook-Seite von Slutwalk-München veröffentlicht und wir erhielten die freundliche Genehmigung der Verfasserin, den Text auch bei uns zu veröffentlichen.

Es wird leider ganz viel über ungewollt schwangere Frauen gesprochen, aber sie selbst werden dabei viel zu selten angehört. Danke für diesen wichtigen Beitrag an die Verfasserin!

Deine hildegardadelheid

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