Die „ZEIT“ titelt in ihrer aktuellen Printausgabe:
„Schäm dich Mann“: Männer darf man neuerdings nach Herzenslust niedermachen. Alles, was sie tun, ist falsch – als seien sie von Geburt an schuldig. Ein Wutausbruch von Jens Jessen.
Jens Jessen schwadroniert in seiner Titelstory über DEN bedrohten Mann und DEN totalitären Feminismus. In „Der bedrohte Mann“ schreibt er, es gehe den Feministinnen heute nicht mehr um Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern nur noch um den „Triumph eines totalitären Feminismus“. #MeToo habe einen „neuen feministischen Volkssturm“ entfacht. Und in diesem Kampf, angeführt von männerhassenden Frauen, würden Männer zu „Menschen zweiter Klasse“ und hätten „keinen Anspruch auf Gerechtigkeit“.
Echt jetzt? Der arme Mann von männerhassenden Frauen unterdrückt? So viel Angst vor einer längst überfälligen neuen Bewegung, die Tatsachen wie sexuelle Belästigung gegen Frauen, Lohnungleichheit, Diskriminierung am Arbeitsplatz, häusliche Gewalt etc. beleuchtet, und damit eine bessere Gesellschaft für Frauen und MÄNNER schaffen will? Eine Bewegung, die längst fast genauso zahlreich von Männern unterstützt wird, einfach weil sie notwendig ist? Und wieso lässt sich die Zeit auf dieses Niveau herab?
Kein Wunder, dass das einen Shitstorm auslöst.
Pinkstinks Germany ließ mit einer Antwort jedenfalls nicht lange auf sich warten. Marcel Wicker (jawohl, ein Mann!) schreibt einen sehr trefflichen offenen Brief an Jens Jessen:
„Zunächst einmal: Es tut mir leid, dass Sie sich bedroht fühlen. Wirklich! Niemand sollte das Gefühl haben, aufgrund des Geschlechtes Benachteiligungen oder Gefahren ausgesetzt zu sein. Denn das ist Sexismus. Frauen* kennen dieses Gefühl gut – mit ein paar entscheidenden Unterschieden: Sie werden den deutlich schlechter bezahlten Job machen, sie werden öfter Übergriffe und sexualisierter Gewalt erleben und sie werden tausende Stunden unbezahlte Care-Arbeit erledigen. Aber egal – der Verlierer im Game ist für Sie trotzdem der Mann! Schließlich wird er von Feministinnen unter Generalverdacht gestellt und kann, wie Sie sagen, sowieso nichts richtig machen. Kritisiert er feministische Diskurse oder Aktionen, will er nur seine Machtposition stärken, unterstützt er sie, eignet er sich einen Diskurs an, der ihm nicht zusteht. Nun, wenn man beim Positionieren so viel falsch machen kann, wie wäre es dann stattdessen mit Zuhören? Damit habe ich als Mann in den letzten Jahren sehr gute Erfahrung gemacht. Denn obwohl es tatsächlich in erster Linie eine Frauen*bewegung ist, kann ich als Mann sie stärken, indem ich zuhöre und Platz mache, indem ich sensibel bin und mich nicht verhalte, wie ein Platzhirsch. Das funktioniert!“
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„DER MANN, DER SICH BEDROHT FÜHLT“ – von Marcel Wicker auf Pinkstinks
Günther Haller schreibt in „Die Presse“:
„Mensch Jessen! Der Shitstorm in den letzten Tagen ist wohlverdient. Es geht bei #MeToo nicht um einen Geschlechterkrieg, sondern um Grenzüberschreitungen, um sexualisierte Gewalt. Es mag schon sein, dass manchmal die Proportionen in der Diskussion nicht gewahrt wurden, aber eine derartige Pauschalisierung und Generalisierung haben wir in dem deutschen Intelligenzblatt nicht erwartet. Die Debatte, die wir uns wünschen, soll ohne Geschlechter-Bashing auskommen. (…) Also, liebe ZEIT, keine Wutausbrüche mehr, wir sind für klare Analysen, die das Blatt sonst so gut beherrscht. Wutausbrüche gestehen wir den Frauen zu, die im Hotelzimmer von Männern im Bademantel empfangen werden.“
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Auch ze.tt, Partner von ZEIT-ONLINE kontert gegen Jens Jessen.
„In der aktuellen ZEIT sieht sich Autor Jens Jessen von einem männerhassenden Feminismus angegriffen. Als Auslöser dafür versteht er die #MeToo-Debatte. Dabei deutet er die Anliegen der Debatte grundlegend falsch und inszeniert einen Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau. (…) Es geht bei #MeToo nicht um Geschlechterkampf, es geht um sexuelle Belästigung. Es geht von Beginn an um das Sichtbarmachen sexualisierter Gewalt – in Form von Belästigungen, Grenzüberschreitungen intimer Bereiche –, ausgelöst von der Bemühung zu zeigen, wie allgegenwärtig diese Problematik in unserer Gesellschaft ist. Egal in welcher Bildungsschicht, in welchem Berufsfeld, in welchem Alter. Es geht darum, den von sexualisierter Gewalt Betroffenen zuzuhören und veraltete Machtstrukturen zu überwinden. Wer #MeToo, wie Jessen in seinem Artikel Der bedrohte Mann, instrumentalisiert, als „Hexenlabyrinth“ bezeichnet oder zu Männerhass umdeutet, verfehlt den Kern der Debatte. Der entzieht sich der Selbstreflexion, die von allen Seiten nötig wäre, um die sexistischen Strukturen unserer Gesellschaft aufzudröseln, abzuschaffen.
Link zum ganzen Artikel:
„#MeToo: Es geht um sexuelle Belästigung, nicht um einen Geschlechterkampf“ – Ein Kommentar von auf ze.tt
Broadly.Vice greift in ihrem Artikel „Liebe Männer, wir müssen über eure Ängste reden“ die „Angst“ mancher Männer vor dem Feminismus von der sozialpsychologischen Perspektive auf und bietet eine plausible Analyse warum viele Männer diese Angst entwickeln: toxische Männlichkeitsstereotype. Und erklärt dadurch, dass auch Männer unter unserer patriarchalen Gesellschaftsstruktur leiden und warum der Feminismus beiden Geschlechtern nützt.
Die Autorin Yasmina Banaszczuk kritisiert und belegt das Phänomen, dass es für Männer gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, Gefühle oder gar Schwäche zu zeigen, was den Nährboden für Sexismus:
„Männer lernen in unserer Gesellschaft immer wieder, dass Frauen auf Bad Boys stehen, dass Männlichkeit am Penis gemessen wird, dass Seximus lustig ist. Das gemeinsame Lachen über Frauen ist oft der heimlich ersehnte Verbindungsmoment zu anderen Männern, mit denen Mann sonst gerne über Fußball und Job reden kann, aber selten über Existenzangst und Einsamkeit. Das Patriarchat schadet also nicht nur Frauen: Es unterdrückt Männer in grausamer Art und Weise, indem es ihnen nur aggressive und sexualisierte Gefühlsausbrüche zugesteht. Und eben jene Ventile will der Feminismus ihnen jetzt auch noch wegnehmen. Kein Wunder, dass Männer sich bedroht fühlen und auf die Barrikaden gehen. (…) Gerade Männer müssen untereinander darüber sprechen, müssen ausloten, was für sie männlich ist, und was einfach nur scheiße. Sich jedoch damit zu beschäftigen, wer die Schuld an der Krise hat, ist müßig. Wir leben weder in einer Gesellschaft, in der alle Männer Monster und alle Frauen Hexen sind, noch können wir es uns leisten, Zeit mit der x-ten Debatte zum Sinn und Zweck von Feminismus zu verschwenden. Vielleicht können wir stattdessen in ein paar Jahren ja gemeinsam in den Kampf ziehen.
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Die Vice bringt einen satirischen Seitenhieb:
In einem, finden wir hat Jens Jessen recht: er sollte sich schämen! Und die ZEIT gleich mit.
Euer attitudeblog