Gendergerechte Sprache: Marlies Krämer, 80, verklagte ihre Sparkasse weil sie sich in Formularen mit „Kunde“ nicht angesprochen fühlte – und verlor.

Die 80-jährige Rentnerin hat ihre Sparkasse verklagt, weil sie erreichen will, dass die Sparkasse neben dem Generischen Maskulinum wie „Kontoinhaber“ oder „Empfänger“ auch „Kontoinhaberin“ oder „Empfängerin“ verwendet. Sie fühle sich als Frau mit „Kunde“ und „Kontoinhaber“ nicht angesprochen., und zog damit bis vor den Bundesgerichtshof. Die Banken hätten daraufhin 800 Formulare ändern müssen, doch der Bundesgerichtshof entschied gegen sie.

Die Begründung des Urteils: Die Umsetzung von Krämers Forderung würde schwierige Formulartexte nur noch komplizierter machen. Frauen seien von diesen Begriffen nach allgemeinem Sprachgebrauch ebenso umfasst wie Männer, das würde schon seit 2000 Jahren funktionieren. Das Urteil des BGH war erwartbar, zeigt aber mit seinem Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Argument, dass es nicht mehr zeitgemäß ist. Denn: Frauen sind zwar heute „mitgemeint“, dennoch stammt das generische Maskulinum aus einer noch nicht lang vergangenen Zeit, in der Frauen kein Konto eröffnen durften und es somit lediglich männliche „Kontoinhaber“ gab. Diese Beispiel zieht sich durch die gesamte Debatte um gegenderte Sprache.

Freilich hat sich schon einiges geändert. In der geschlechtergerechten Sprache werden im Wesentlichen zwei Wege eingeschlagen. Der erste macht das Geschlecht „sichtbar“, indem die weibliche und die männliche Form explizit genannt wird (etwa: „Studentinnen und Studenten“, „Student/-innen“, „StudentInnen“), der andere verwendet geschlechtsneutrale Formulierungen wie „Studierende“, „Dozierende“ oder (mit festem Genus) „Lehrkraft“. Die einflussreichsten Vertreterinnen im deutschen Sprachraum sind seit den 1970er-Jahren Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz, die mit Marlis Hellinger und Ingrid Guentherodt in den frühen 1980ern „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ veröffentlichten. Im Rahmen des fortwährend stattfindenden Sprachwandels des Deutschen fand die geschlechtergerechtere Sprache in den letzten Jahrzehnten Verbreitung, auch wenn viele Punkte der durchaus heterogenen feministischen Sprachkritik weiterbestehen.

Die Gesetzeslage in Deutschland beschränkt sich derzeit allerdings nur auf den öffentlichen Dienst, Schulen und Universitäten sowie Stellenausschreibungen.  Für den Sprachgebrauch im öffentlichen Dienst und im Schuldienst ist die Verwendung geschlechtsneutraler Formen in einigen, allerdings nicht in allen, deutschen Bundesländern vorgeschrieben. Gemäß Europarecht müssen Stellenanzeigen „geschlechtsneutral“ formuliert sein; dabei wird in Langfassungen von Splittingformen zumeist die weibliche Form zuerst angegeben. Neben Personalpronomen und Personenbezeichnungen werden auch die deklinierten Adjektive und Artikel gelegentlich doppelgeschlechtlich angeführt. Europäische Gleichbehandlungsgesetze wie zum Beispiel das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz folgen einer EU-Richtlinie und schreiben die Berufsbezeichnungen in Stelleninseraten „geschlechtsneutral“ vor. Vor allem bei englischen Bezeichnungen wie „Controller“ wird „Controller (m/w)“ verwendet, auch wenn bei hinreichender Eindeutschung die movierte Form „Controllerin“ möglich wäre.

Ein wesentlicher Einwand gegen die geschlechtergerechte Sprache lautet, die nach ihren Prinzipien verfassten Texte seien oft – besonders bei Beidnennung der Geschlechter– schwerer verständlich als Texte, die das generische Maskulinum verwenden. Diverse Komiker wie z. B. Ciro de Luca trieben mit Doppelformen wie „alle und allinnen“ ihre Späße. Ebenso bei Alfred Döblin in seinem Roman Berlin Alexanderplatz mit Breiten wir, werte Brüder und Brüderinnen. Eine weitere derartige Szene gibt es bereits im Film Das Leben des Brian, in dem die „Volksfront von Judäa“ über ihre Angelegenheiten diskutiert und über permanente geschlechtliche Doppelbezeichnungen stolpert, sodass niemand mehr versteht, was eigentlich ausgedrückt werden soll.

Dabei haben indes diverse linguistische Studien bewiesen, dass gendergerechte Sprache die Qualität und die kognitive Verarbeitung von Texten nicht beeiträchtigt. In einer Studie von Braun et al. aus dem Jahr 2007  wurde beispielsweise überprüft, wie gut die Versuchsteilnehmenden die Inhalte eines Textes verarbeiteten und reproduzierten, der hinsichtlich der Form der Personenbezeichnung – generisches Maskulinum, Beidnennung mit Neutralisierung, Binnen-I – variierte. Darüber hinaus bewerteten die Versuchspersonen den Text im Hinblick auf verschiedene Merkmale der Textqualität (Verständlichkeit, Güte der Formulierungen und Lesbarkeit). Hinsichtlich des Kriteriums der Verarbeitung und der Erinnerung gab es keine Unterschiede: Weibliche und männliche Teilnehmende zeigten bei allen drei Sprachformen eine ähnlich gute Verarbeitungs- und Erinnerungsleistung.

Marlies_Krämer2

Für Marlies Krämer ist die Klage gegen ihre Sparkasse nicht ihr erster Kampf. Die gelernte Verkäuferin  interessierte und engagierte sich immer wieder für feministische Themen. Insbesondere die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Sprache war ihr ein Anliegen, das sie mit Nachdruck vertrat. Als in den 1990er-Jahren ihr Reisepass verlängert werden musste, störte sich Krämer daran, dass nur die Formulierung „Inhaber“ bei der Unterschrift vorgegeben war. Sie zog vor Gericht und erreichte, dass seit 1996 die Formulierung „Inhaber bzw. Inhaberin“ benutzt wird. Im Jahr 1996 wurde die bis dahin in Deutschland gängige Praxis, Tiefdruckgebiete nur mit Frauennamen zu kennzeichnen, auf Krämers Initiative hin geändert. Seither erhalten die Tiefdruckgebiete jährlich wechselnd in einem Jahr weibliche und im folgenden Jahr männliche Vornamen. Zu ihrer Klage gegen die Sparkasse argumentiert sie:  „Ich bin heute hier, weil ich eine selbständige Frau bin. Kein Mann zahlt für mich, ich habe allein vier Kinder großgezogen und zahle für mich selbst, aber ich werde von meiner Bank praktisch totgeschwiegen“. Nach ihrer aktuellen Niederlage vorm BGH, kündigte sie an, vor das Bundesverfassungsgericht und notfalls sogar vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.

Zahlreiche Medien kritisieren das Urteil des BGH als nicht mehr zeitgemäß.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt in:

Urteil zu Gender-Sprache: Der BGH verpasst eine Chance auf Fortschritt

„Was (…)die Sparkassenformulare angeht: Da herrscht komplizierter Bankensprech, die Einbußen an sprachlicher Schönheit oder auch Verständlichkeit wären ohnehin gering ausgefallen. Der BGH hätte hier also ohne große gesellschaftliche Kosten ein bisschen Fortschritt verordnen können, der erst einmal auf das Verhältnis zwischen Kasse und Kundin beschränkt gewesen wäre. Diese Chance hat das Gericht leider verpasst.“

Die Zeit titelt:

Die Frau ist nicht der Rede wert – Dass Sparkassen-Formulare keine weibliche Form brauchen, ist eine juristische Niederlage. Dass wir überhaupt darüber streiten, ist aber ein symbolischer Fortschritt.

„Worte können sein wie winzige Arsendosen“, schrieb der Sprachwissenschaftler Victor Klemperer 1947. „Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Sprache ist nicht neutral, nicht universal und nicht objektiv. Sie bildet ab, was wir denken, und sie formt bei ausreichender Wiederholung unser Denken. (…) Wie wirkmächtig und einzigartig jede Sprache ist, weiß jede Person, die eine Fremdsprache spricht und darin deutsche Wörter vermisst – oder umgekehrt neue Wörter lernt, für die es keine Entsprechung gibt. Die US-amerikanische Juristin und Feministin Catharine MacKinnon verweist etwa darauf, dass Frauen niemals Verfassungen geschrieben oder ihnen formal zugestimmt hätten. Es waren fast immer Männer, die sich damit Rechte sicherten: das Recht, die Hoheit über Finanzen zu behalten, über die Ehe, über politische Ämter, über Berufswahl und die Berufsausübung. Das Recht, darüber zu bestimmen, was Gewalt ist (Invasion ausländischer Truppen) und was keine Gewalt ist (Vergewaltigung in der Ehe).“

Ze.tt von Zeit Online veröffentlicht ebenfalls einen Kommentar:

Kundin bleibt Kunde: Das BGH-Urteil ist Hohn – Eine Sparkassenkundin wollte in Formularen als Sparerin und nicht als Sparer angesprochen werden. Das oberste deutsche Gericht wies ihre Klage zurück. Gleichberechtigung geht anders.

„Krämers Klage wurde heute zurückgewiesen. Die Begründung des BGH: Die Umsetzung von Krämers Forderung würde schwierige Formulartexte nur noch komplizierter machen. Es ist ein Schlag ins Gesicht für all jene, die für geschlechtergerechte Sprache kämpfen. Denn was das oberste deutsche Gericht damit vor allem entschied: Frauen haben kein Recht, als solche angesprochen zu werden. So urteilen kann nur, wer das Konzept der Gleichberechtigung nicht verstanden hat. (…) Wenig ist so mächtig, dass es das Denken einer ganzen Gesellschaft definieren kann wie die Sprache. Eine Studie der Freien Universität Berlin zeigte etwa, welche Auswirkung es auf Kinder hat, werden sie in geschlechtersensiblen Sprache unterrichtet: Plötzlich trauten sich auch die Mädchen zu, Automechanikerinnen zu werden, und die Jungen, Kosmetiker zu werden.“

Die EMMA schreibt zur Begründung des BGH-Urteils in ihrem Artikel

BGH: Frauen sind mitgemeint!

„Wer Mann sagt, kann auch Frau meinen. „Ein solcher Sprachgebrauch bringt keine Geringschätzung gegenüber Personen zum Ausdruck, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist.“ Ach, tatsächlich? Wie wäre das Ganze denn dann mal in umgekehrt? Wer “Kundin” sagt, meint auch den “Kunden”. Oder auch: Wer “Richterin” sagt, meint auch Richter. Dass das nicht funktioniert, hat einen Grund. Er heißt: Patriarchat. Tatsächlich gab es jahrhundertelang keine Studentinnen, Lehrerinnen, Ärztinnen. Und auch keine Wählerinnen, bis Frauen sich den Zugang zu Universitäten, das Wahlrecht und das Recht auf Berufstätigkeit erkämpften.“

Zudem kürte die EMMA Marlies Krämer als „Heldin des Alltags“

Auch das Fernsehen berichtet:

Urteil des Bundesgerichtshofes: Kundin ist nicht gleich Kunde (ZDF-heute)

Marlies_Krämer_Video

Am Ende ein kleines Rätsel:

Ein Vater und sein Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Bub wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein Chef-Chirurg arbeitet, der eine bekannte Kapazität für Kopfverletzungen ist.

Die Operation wird vorbereitet. Der Chef-Chirurg erscheint, wird blass und sagt: „Ich kann nicht operieren, denn das ist mein Sohn!“.

Wie kann das sein?

Euer attitudeblog

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