Anlässlich des 6. Februar als „Internationaler Tag null Toleranz gegen weibliche Genitalverstümmelung publizierte die Zeit noch einmal einen lesenswerten Artikel über die grausame Tradition der weiblichen Genitalverstümmelung in Ägypten:
„Der Nil heilt die Wunden nicht“- „90 Prozent der Ägypterinnen sind beschnitten. Erst langsam lernen die Frauen, dass die Genitalverstümmelung eine Menschenrechtsverletzung ist.“ – Von Andrea Backhaus auf zeit.de
Eine Aktivistin gegen Genitalverstümmelung berät Frauen in Minia © Tara Todras-Whitehill/Reuters
6. Februar 2003, organisierte das Inter-African Committee (IAC) in Addis Abeba eine vielbeachtete internationale Konferenz unter dem Motto „Null-Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung“ Seitdem wird der 6. Februar auf der ganzen Welt als Internationaler Tag gegen FGM begangen, um auf diese schwere Menschenrechtsverletzung an Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen und für ihre Überwindung zu kämpfen. Zuletzt hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2012 eine Resolution zum Kampf gegen die weibliche Genitalbeschneidung verabschiedet.

Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM) bezeichnet eine schwere Menschenrechtsverletzung, bei der Teile des weiblichen Genitals abgeschnitten oder verletzt werden. FGM stellt damit einen Verstoß gegen das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit dar. Zudem verstößt sie gegen die Kinderrechte gemäß der Kinderrechtskonvention und gilt somit als Kindesmisshandlung.
Aktuellen Angaben von UNICEF zufolge sind weltweit mehr als 200 Millionen Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen. Tatsächlich dürften es eher doppelt so viele sein, denn bisher gibt es nur für den Subsahararaum, Ägypten und Irak umfassende Studien. Dabei weiß man heute, dass auch im Nahen Osten und in Südostasien Mädchen und Frauen genitalverstümmelt werden. Im Zuge der Einwanderung wird FGM auch zu uns getragen. Nach Angaben des Europaparlaments leben rund 500.000 von dieser Menschenrechtsverletzung betroffene Frauen und Mädchen in Europa. Auch in Deutschland sind Mädchen dem Risiko ausgesetzt, heimlich hierzulande oder im Ausland an ihren Genitalien verstümmelt zu werden.
Vier Formen der weiblichen Genitalverstümmelung Drucken
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM), wie folgt: „FGM umfasst alle Praktiken, bei denen das äußere weibliche Genital teilweise oder vollständig entfernt wird sowie andere medizinisch nicht begründete Verletzungen am weiblichen Genital.“
(WHO Female genital Mutilation – Fact sheet N°241, updated February 2014).
Dabei unterscheidet die WHO vier Formen von weiblicher Genitalverstümmelung:
Typ I – Entfernung oder Beschädigung der Klitoris und/oder Klitorisvorhaut
Typ I, die „Klitoridektomie“, bezeichnet die teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut.
Die Klitoridektomie wird regelmäßig praktiziert, wenn die Gesellschaft Mädchen für unrein hält oder weil einige Religionsgelehrte dies als verpflichtend bezeichnen. Dabei empfiehlt keine heilige Schrift die weibliche Genitalverstümmelung und auch vermeintlich harmlose Eingriffe schädigen die Nerven und die Gesundheit des Mädchens (z.B. durch Infektionsrisiken), was in allen Weltreligionen verboten ist.
Ist von der „milden“ Sunna-Beschneidung (sunna: arabisch für „empfohlen“) zu lesen, bezeichnet dies häufig einen kleinen Schnitt in der Klitoris, so dass „nur“ ein Bluttropfen fließt. Mitunter werden jedoch auch Eingriffe als „sunna“ bezeichnet, bei denen Gewebe entfernt wird.
Typ II – zusätzlich zu Typ I werden die inneren Schamlippen gekürzt oder komplett entfernt
Typ II, die „Exzision“, bedeutet, dass der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris sowie die inneren Schamlippen teilweise oder vollständig entfernt werden. Mitunter werden auch die äußeren Schamlippen verstümmelt.
Diese Form der Genitalverstümmelung wird oft zum Zwecke der Initiation, welche den Übergang vom Kind sein zur Frau darstellt, praktiziert. Teil des Rituals ist es z.B., dass das Mädchen während der Genitalverstümmelung weder weint noch schreit. Dadurch soll sie ihren erwachsenen Charakter beweisen und zeigen, dass sie würdig ist, in der Gesellschaft die für sie bestimmte Rolle zu erfüllen.
Typ III – komplettes äußeres Genital wird entfernt und bis auf ein kleines Loch zugenäht
Typ III, die „Infibulation“, ist die schwerste Form von weiblicher Genitalverstümmelung. Das gesamte Genital (Klitoris(vorhaut) und Schamlippen) werden entfernt und die Wunde bis auf ein kleines Loch zugenäht. Durch dieses kleine Loch sollen Urin und Menstruationsblut abfließen, aber keine Penetration möglich sein. Diese Form wird vor allem in Gemeinschaften praktiziert, in denen der Wert einer Frau allein durch Jungfräulichkeit und eheliche Treue bestimmt wird. Die Penetration in der Hochzeitsnacht oder eine Geburt kann den Schmerz und das Trauma der Genitalverstümmelung reaktivieren oder sogar noch übertreffen.
Typ IV – jegliche andere Praktiken die teilweise physische und/oder psychische Schäden hinterlassen
Typ IV bezeichnet alle weiteren, medizinisch nicht begründeten Eingriffe, welche die Vulva und Klitoris der Frau nachhaltig schädigen. Darunter fallen z.B. Ätzen, Brennen, Scheuern und das Auftragen von nervenschädigenden oder betäubenden Substanzen. Praktiken wie das Räuchern, Tupfen oder Auflegen von magischen Gegenständen hinterlässt zwar keine physischen Schäden, wird aber dennoch in der Absicht ausgeübt, die Sexualität des Mädchens zu kontrollieren.
Beweggründe und Risiken
Vier Gründe für weibliche Genitalverstümmelung
Die BefürworterInnen beurteilen weibliche Genitalverstümmelung innerhalb ihrer Kultur und sehen genug vermeintliche Vorteile, um diese Praktik fortzusetzen. Grob lassen sich die Beweggründe in Tradition, Religion, medizinische Mythen und ökonomische Gründe unterteilen.
Der Tradition zu folgen ist Ausdruck des Respekts gegenüber älteren Generationen und ein Zeichen der Dankbarkeit für die eigene Herkunft. Mit einem uralten Brauch zu brechen, kann als Affront gegenüber der ganzen (Groß-)Familie und allen Vorfahren verstanden werden. Die Reaktionen darauf können sehr emotional und dadurch sogar lebensbedrohlich ausfallen.
Die Religion und ihre Verknüpfung zwischen Hygiene und (spiritueller) Reinheit ist für viele Menschen Anlass zur Genitalverstümmelung ihrer Töchter. Keine religiöse Schrift ruft zur weiblichen Genitalverstümmelung auf. Trotzdem sind Angehörige verschiedener Religionen überzeugt, dass Genitalverstümmelung Einklang zwischen Mensch und dem Willen eines spirituellen Wesens schaffen kann.
Medizinische Mythen besagen, dass eine beschnittene Vulva hygienischer und Kontakt mit der Klitoris tödlich sei oder zu Impotenz führe, dass Organe oder der Fötus aus der Vulva fallen können und vieles mehr. In Folge der Genitalverstümmelung auftretende gesundheitliche Probleme werden oft nicht mit ihr in Verbindung gebracht sondern anderweitig erklärt.
Ökonomische Gründe für die weibliche Genitalverstümmelung sind ein höheres Brautgeld und bessere Heiratschancen für beschnittene Mädchen und Frauen. In den meisten praktizierenden Gemeinschaften sind die Strukturen selten so, dass eine alleinstehende und ggf. alleinerziehende Frau allein überleben kann. Dort, wo FGM praktiziert wird, ist der Status der Frau in der Regel von ihrem Ehemann abhängig und ohne FGM bleibt sie nicht nur allein, sondern wird auch ausgeschlossen und geächtet.
Folgen und Risiken
Ca. 25% der betroffenen Mädchen und Frauen sterben entweder während der Genitalverstümmelung oder an den Folgen. Weibliche Genitalverstümmelung wird in der Regel ohne Betäubung durchgeführt, sodass die Mädchen extreme Schmerzen erleiden und nach dem Eingriff meist hochgradig traumatisiert sind. Je nach Typ und Praktik sind verschiedene Komplikationen und Folgen verbreitet: wie z.B. Blutverlust, Infektionen (z.B. HIV/AIDS), Wucherungen, Fistelbildung, chronische Schmerzen, Schwierigkeiten beim Urinieren und Menstruieren, Inkontinenz, Unfruchtbarkeit, hohes Geburtsrisiko für Mutter und Kind und weitere gynäkologische Probleme. Zu den möglichen psychischen Folgen gehören unter anderem Angststörungen, Schlaflosigkeit, Posttraumatische Störungen, Konzentrationsschwäche, Depressionen und Traumata. Besonders die Infibulation (Zunähen nach der Beschneidung) hat schwerwiegende Konsequenzen, da das Abheilen der Wunde hier nur für kurze Zeit erwünscht ist und das Mädchen sowohl zu Beginn ihrer Ehe als auch bei und nach jeder Geburt „geöffnet“ wird und die Wunde neu verheilen muss.
Verbreitung
Bisher ist dokumentiert, dass die weibliche Genitalverstümmelung traditionellerweise in 29 Ländern Afrikas, auf der Arabischen Halbinsel und in einigen Ländern Asiens ausgeübt wird.
Durch Migration wird weibliche Genitalverstümmelung weltweit und auch in Deutschland praktiziert. Von Diaspora-Gemeinden (Familien mit dem selben Identitätshintergrund, die im Ausland gut miteinander vernetzt leben) weiß man, dass sie Traditionen und Bräuche wahren und auch bei Veränderungen im Wohnort aufrecht erhalten. Da die weibliche Genitalverstümmelung für die Zugehörigkeit der Töchter zur Gemeinschaft und für die Geschlechterrollenbilder (und dadurch für Familiengründung und Fortbestehen der eigenen Gruppe) wichtig scheint, wird sie weiter praktiziert. Die soziale Akzeptanz innerhalb der praktizierenden Gruppe, die oft mangelnde Integration bis hin zur jüngsten Generation in die Mehrheitsgesellschaft und die Tabuisierung, schützen vor Entdeckung und Strafverfolgung.
In einer Studie von TERRE DES FEMMES (PDF-Datei) gaben 43% der GynäkologInnen an, schon mit Betroffenen gearbeitet zu haben. Die Vereinten Nationen haben im Dezember 2012 alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, Gesetze gegen weibliche Genitalverstümmelung zu erlassen und zur Abschaffung beizutragen. Im September 2013 ist Deutschland dieser Pflicht mit §226a StGB nachgekommen und im November 2013 hat die EU beschlossen, sich alljährlich über die Fortschritte bei der Prävention und Unterstützung der Betroffenen in ihren Mitgliedsstaaten zu informieren. Bereits im Mai 2011 beschloss der Europarat die Istanbul-Konvention welche sich gegen Gewalt an Frauen richtet. Diese soll nicht nur Prävention und Opferschutz gewähren sondern setzt auch auf Strafverfolgung. Artikel 38 richtet sich dabei explizit gegen die Verstümmelung weiblicher Genitalien. Deutschland unterzeichnete die Konvention, hat sie aber bis heute nicht ratifiziert.