Die Vorurteile sitzen tief: Wer seelisch erkrankt, gilt oft als labil oder faul. Doch vier Millionen Deutsche leiden an einer Depression. Immer mehr bekennen sich offen zu ihrer Krankheit.
Bloggerin und Autorin Jana Seelig
Jana Seelig (28) geht offensiv mit ihrer Krankheit um. Die Diagnose Depression mit Anfang 20 hat sie als Befreiung empfunden. Sie sieht sich als Aufklärerin in Sachen Depression und schreibt darüber Kolumnen und ein Buch. Auf YouTube beantwortet Jana Fragen zur Krankheit, von der sie sagt: „Ich bin nicht die Depression, ich bin viel mehr.“ Die hellen Monate lebt sie intensiv mit ihren Freunden in Berlin, bis es wieder für viele Wochen dunkel in ihrem Leben wird. Dann fehlt ihr sogar die Kraft, ihre Wohnung zu verlassen.
Wenn sie eine depressive Episode hat, wird Jana immer wieder unterstellt, sie würde sich nicht genügend Mühe geben, solle doch Sport treiben oder einfach mal ein heißes Bad nehmen. Jana ringt darum, einen selbstbestimmten Umgang mit der Krankheit zu finden. Wie viele Menschen, die unter einer dauerhaften Depression leiden, nimmt Jana Medikamente. Doch die verändern ihre Wahrnehmung. Als sie ihre Medikamente absetzt, stürzt sie in eine Krise. Schließlich sucht sie Hilfe bei Professor Tom Bschor, einem Berliner Psychiater. Wird Jana es schaffen, ihr Leben in den Griff zu bekommen? Und kann sie akzeptieren, dass die Depression immer ein Teil von ihr sein wird?
Informatiker und Familienvater Uwe Hauck
Für Uwe Hauck (49) ist es die zweite und auch letzte Chance. Nach einem Suizidversuch hat der Informatiker fast ein Jahr in der Psychiatrie verbracht und wagt jetzt ein zweites Mal die Wiedereingliederung in seinen Job bei einem großen Versicherungsunternehmen. Der erste Versuch scheiterte bereits nach zwei Wochen: Uwe hatte einen schweren Rückfall.
Uwes Frau Sibylle und seine drei Kinder stärken ihm immer den Rücken – und leiden schwer unter seiner Krankheit. Auf den ersten Blick lebt die Familie in einer schwäbischen Bilderbuchidylle. Wäre da nicht die allgegenwärtige Angst um Uwe. Die Familie muss ihren gesamten Alltag um Uwe herum bauen, immer auf der Hut vor seinen Wutausbrüchen. Sibylle unterstützt Uwe selbstlos im Kampf gegen die Depression. Und sie wünscht sich ihren „alten“, nicht von der Krankheit gezeichneten Mann zurück.
Wird Uwe es schaffen, den Weg zurück in sein früheres Leben zu finden? Denn „so vieles macht keinen Spaß mehr, wenn man depressiv ist. Und das merken die Kinder natürlich auch“, weiß Uwe aus Erfahrung. Kann er wieder werden wie damals, als die Kinder noch keine Angst vor seinen Stimmungsschwankungen hatten? Als er für sie der liebevolle Vater war, der er gerne auch heute sein möchte?
Wibke Kämpfer über die Dreharbeiten
Jeder kennt jemand, der unter Depressionen leidet
Vor eineinhalb Jahren begann ich an dem Film zu arbeiten. In dieser Zeit erzählte ich mehrfach Freunden und Kollegen von meinen Recherchen. Plötzlich fiel einem meiner Gesprächspartner ein, dass es in ihrem Bekanntenkreis auch jemanden gab, der unter Depressionen litt, in der Psychiatrie gewesen war, der sein Leben beendet hatte. Auch der Bruder meines Vaters hatte Selbstmord begangen – damals, in den 80er Jahren. Mein Onkel: Ein Mann im besten Alter, Vater von drei minderjährigen Söhnen. Merkwürdig: Damals sprach man nicht wirklich viel darüber. Aber ist das heute so anders? Noch immer scheint der offene Umgang mit dieser Krankheit, die so viele Gesichter hat, schwierig.
Mein Interesse für das Thema Depression hatte fernab meiner Familiengeschichte mit einem Artikel über die junge Berlinerin Jana Seelig begonnen. Jana ist bekennende Depressive und eine Art Vorzeige-Depressive seit Ende 2014 eine Twitternachricht als Hashtag #notJustSad – nicht nur traurig – über Nacht, an die Spitze der Twitter-Charts geschossen war. Plötzlich schrieben tausende Betroffene über ihre Erfahrungen mit der Krankheit. Jana hatte sich nur darüber „auskotzen“ wollen, dass so viel Nicht-Betroffene zu wissen glauben, was für Depressive gut sei. Jetzt meldeten sich Fernsehsender und luden Jana in ihre Talkshows ein. Jana war überwältigt und fühlte: gar nichts.
In Zeitungsinterviews gab sich diese Jana so offensiv, das beeindruckte mich. Ich wollte sie kennen lernen. Aber mehrere Verabredungen wurden in letzter Minute abgesagt. Ein erster Vorgeschmack darauf, dass die Zusammenarbeit nicht immer einfach sein würde. Als wir uns endlich trafen, war Jana sofort offen für Filmpläne. Nur wie könnte ein Film aussehen, in dem die Protagonisten „nichts“ fühlen, in ihren schlimmsten Zeiten „nicht wirklich da“ sind
Niemand möchte an die Öffentlichkeit gehen
Auf der Suche nach einem weiteren Betroffenen arbeitete ich mich durch Youtube-Kanäle und Internetforen. Wie bei vielen 37 Grad-Themen gibt es auch hier die bekannte Geschichte: So viele Betroffene, aber keiner wollte sich öffentlich zu der Krankheit bekennen. Wie tief die Vorurteile gegen Depressive saßen, verstand ich nach einigen Vorgesprächen besser: „Als Depressiver wirst Du schnell wie ein Aussätziger behandelt“, „das Verständnis für Dich, ist – auch zeitlich – klar begrenzt“, „Depressive machen Angst!“. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe vermittelte mir Freiwillige. Doch in den Vorgesprächen wurde schnell klar: Meine Gesprächspartner waren zwar bereit vor die Kamera zu gehen, aber ihre Familie nicht. Oder es war am Arbeitsplatz niemandem bekannt, dass der Grund für die lange Krankschreibung eigentlich Depression heißt.
Schließlich stieß ich auf Uwe Hauck. Der Familienvater hatte sich nach einem Selbstmordversuch selbst in die Psychiatrie eingewiesen und twitterte unter dem Hashtag #ausderklapse über seinen Alltag in der Psychiatrie. Jetzt war er gerade wieder draußen und bereit sich beim Wiedereinstieg in den Job begleiten zu lassen. Noch erfreulicher: Uwes Familie stand hinter ihm, auch sie würde sich filmen lassen. Endlich keine Ängste, dass das Geheimnis heraus kommen würde. Es schien, als brannte Uwe darauf, endlich offen über seine Krankheit zu sprechen. Und auch seine Frau Sibylle war bereit, über die jahrelangen Belastungen als Angehörige eines depressiven Familienmitglieds zu sprechen.
„Deprimiert sein“ ist nicht gleich „depressiv sein“
Zu Beginn meiner Recherchen hatte ich gelesen, dass es psychosoziale und neurobiologische Faktoren als Ursache für Depressionen gäbe. Ein gestörter Hirnstoffwechsel und eine Fehlfunktion von Botenstoffen wie Serotonin würden die Krankheit auslösen. Noch während der Dreharbeiten glaubte ich: Bei Depressionen müsse also nur das richtige Medikament verschrieben werden und dann würde alles gut. Jana und Uwe nahmen beide Medikamente, aber Jana setzte ihre während der Dreharbeiten ab. Ich verstand, dass sie als Depressive ihre Gefühlswelt während der depressiven Episoden komplett an das „Nichts“ verlor und zumindest in den hellen Phasen soviel wie möglich von sich selbst spüren wollte.
Dann las ich eine Artikel darüber, dass in Deutschland zwar der Verbrauch an Antidepressiva stark gestiegen sei, dass es aber Zweifel an ihrem Nutzen gäbe. Jana wollte mehr darüber erfahren und vereinbarte einen Termin mit Tom Bschor, dem Chefarzt der Psychiatrie an der Berliner Schlosspark-Klinik. Als Mitglied der Arzneimittelkommission eine wissenschaftliche Instanz. Als es zum Treffen kam, hatte Jana gerade eine wieder eine depressive Episode hinter sich. Mehre Drehtermine waren gescheitert. Doch diesmal schaffte sie es und wir erfuhren, dass Einzelstudien zwar gute Ergebnisse für einzelne Medikamente lieferten, dass der Großteil der Wirkung von Antidepressiva aber auf einen Placeboeffekt zurückgehe. Dass also Medikamente ein Allheilmittel darstellen würden, stimme nicht. Jana befand sich zu dem Zeitpunkt aber schon wieder auf der Suche nach einem Therapieplatz. Eine ernüchternde Erfahrung, denn meist müssen – auch akut Betroffene – monatelang auf einen freien Behandlungsplatz warten. Jana hatte schon Dutzende Therapeuten erfolglos durch telefoniert – doch sie wollte dran bleiben.
Uwe und seine Familie trafen wir über viele Monate immer wieder: Seine Wiedereingliederung lief, aber zeitweise war Uwe weit von einer echten Stabilität entfernt. Mal ging es ihm gut, dann kam der Absturz. Ich verstand, wie unberechenbar die Depression war – für alle. Zum Ende der Dreharbeiten gelang es sowohl Jana, als auch Uwe vom Schatten ins Licht zu treten.
Aber inzwischen habe auch ich – als Nicht-Depressive lange auf ein „echtes Happyend“ hoffend – verstanden, dass die Depression ein lebenslanger Begleiter sein kann. Offenheit ist wichtig und Verständnis. Dann kann man es vielleicht auch wie Uwes Frau Sibylle sehen: „Wir profitieren auch von Uwes Krankheit, weil wir in Tiefen eindringen können, wo normalerweise Menschen wahrscheinlich gar nicht hinkommen.“
„Viel mehr als Traurigkeit“ – Film von Wibke Kämpfer – in der ZDF-Mediathek
Sehenswert!