Seit Monaten diskutiert die Große Koalition über das umstrittene sogenannte „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche, den Paragrafen 219a. Ausgelöst hatte die Debatte die Ärztin Kristina Hänel, die wegen unerlaubter Werbung verurteilt wurde. Durch den jetzt vorgestellten Reformentwurf dürften Ärztinnen und Ärzte zwar darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, jedoch keine weiterführenden Informationen zum Eingriff anbieten. Vielen reicht dieser Kompromiss nicht. Für neues Konfliktpotential sorgt auch die von der Bundesregierung initiierte Studie zu den „seelischen Folgen“ von Schwangerschaftsabbrüchen.
Was bewirkt die Lockerung des „Werbeverbots“? Was sagt der Paragraph 219a über das Frauen- und Gesellschaftsbild in Deutschland aus? Sollte der „Abtreibungs-Paragraf“ 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden?
„Recht auf Leben und Selbstbestimmung – die neue Debatte über Abtreibungen“
über dieses Thema diskutierten am Sonntag mit Anne Will Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Bundesjustizministerin a.D, Kristina Hänel, Fachärztin für Allgemeinmedizin, sie wurde wegen unerlaubter Werbung für, Schwangerschaftsabbrüche verurteilt, Philipp Amthor (CDU), Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Innenausschuss und Abtreibungsgegner und Teresa Bücker, Chefredakteurin des feministischen Magazins „Edition F“
Franziska Giffey verteidigt den Gesetzesentwurf der GroKo, nachdem Ärzt*innen zwar angeben dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, aber weiterhin keinerlei weitergehende Informationen, wie z.B. über Methoden oder Kosten, zur Verfügung stellen dürfen. Dies soll von staatlicher Seite geschehen, die Ärzt*innen könnten dies auf ihrer Homepage verlinken. Die Rechtssicherheit sei somit hergestellt. Klingt nach einer funktioerenden Lösung, hinkt aber im Detail, denn sie verbietet Ärzt*innen wie Kristina Hänel weiterhin den Mund. Die SPD hatte ursprünglich die Abschaffung des §219a gefordert, ihren Gesetzesentwurf aber im Rahmen der Koalitionsverhandlungen wieder zurückgezogen. Giffey muss nun den sehr dürftigen Kompromiss bewerben, obwohl sie und ihre Partei eigentlich nicht dahinter stehen. Sie tut einem fast ein bisschen Leid, auf der anderen Seite wirkt es wie ein Gesichtsverlust, aber man sei „nun einmal in einer Koalition“. Sie weist auf den Verhandlungserfolg hin, dass eine von der Union geforderte Studie zu psychischen Folgen von Abtreibungen für die betroffenen Frauen, nicht Teil des Gesetzesentwurfes ist. Besonders die Studie hatte für Empörung gesorgt, denn im Jahr 2019 ist längst hinreichend belegt, dass hier kein Kausalzusammenhang besteht.
Auch Philip Amthor stellt sich hinter den Kompromiss, was fast heuchlerisch wirkt, da er als Abtreibungsgegner an Demonstrationen wie dem sogenannten „Marsch für das Leben“ teilnimmt,und sich aktiv im „Lebensschutz“ des Vereins „Durchblick“ engagiert, die beispielsweise Plastikembryonen herstellen die sie so gerne verteilen. Ebenso betont er, an der 1992 eingeführten Reform des §218 festhalten zu wollen. Er räumt Versorgungslücken ein und auch er will diese angeblich geschlossen wissen, dabei sind es gerade die Aktionen der „Lebensschützer“ sowie die Rechtsunsicherheit, die zu viele Ärzt*innen davon abbringen, Schwangerschaftsabbrüche überhaupt erst anzubieten.
Kristina Hänel, deren Verurteilung wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, die aktuelle Debatte ausgelöst hatte, ist regelmäßigen Todesdrohungen ausgesetzt. Sie will im Zweifel bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, denn ihrer Ansicht nach, und diversen juristischen Stellungnahmen zufolge, verstößt der Paragraph aus der Nazizeit gegen das Grundgesetz.
Anne Will konfrontiert Giffey mit der Frage, die sich wohl viele stellen, nämlich warum es bei diesem schwierigen Thema einen Koalitionskompromiss geben muss und man die Abschaffung des §219a nicht als Gewissensentscheidung frei gibt. Denn die FDP, die Grünen und die Linke befürworten ebenfalls die Abschaffung, sehr wahrscheinlich auch Teile der Unionsabgeordneten.
Teresa Bücker kritisiert, dass Frauen auch heute immer noch wie unmündige Bürgerinnen behandelt würden. Allerdings trifft dieser Kritikpunkt nicht nur den §219a sondern auch den §218. Denn im Gegensatz zu vielen unserer europäischen Nachbarn ist ein Schwangerschaftsabbruch im Jahre 2019 in Deutschland zwar unter bestimmten Umständen (12-Wochen-Frist, Beratungspflicht und auferlegte „Bedenkzeit“ zwischen Beratung und Eingriff) strafffrei, aber immernoch illegal. Selbst das erzkatholische Irland hat im vergangenen Jahr in einem historischen Referendum die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen beschlossen.
Und so kommt man auf den Kern des Problems: eigentlich müsste man generell über die Abschaffung des §218 diskutieren.
Sabine Leutheuser-Schnarrenberger spricht sich zwar deutlich für eine Abschaffung von §219a aus, denn ihrer Ansicht nach brauche man den Paragraphen nicht. Allerdings warnt sie davor, die Diskussion um §218 erneut zu entfachen, denn sie fürchtet, dass man heute „noch weniger“ erreichen würde und sähe damit den Status quo in Gefahr.
Anne Will kommentiert: „Das ist ja super frustrierend“. Und mit diesem Frustgefühl endet die Sendung.
Der Link zur Sendung:
Anne Will: „Recht auf Leben und Selbstbestimmung – die neue Debatte über Abtreibungen“ Sendung vom 03.02 in der ARD-Mediathek
Pressestimmen:
„Man braucht den 219a nicht“ – Nina Jerzy – T-Online
„Anne Will zu Abtreibungen: Als ob Frauen unmündige Bürger sind“ – Anne Haeming – Spiegel Online
„ANNE WILL ZU PARAGRAF 219A: – Abtreibungsgegner handeln aus Hass – ULRICH THIELE – Cicero
„Anne Will: Feministin greift CDU-Abgeordneten Amthor an“ – Fabian Hartmann – Berliner Morgenpost